22.04.2024

Medienmitteilung: Normkostenmodelle verletzen die Wirtschaftsfreiheit

Viele Kantone und Gemeinden stützen sich in ihren gesetzlichen Grundlagen auf sogenannte Normkostenmodelle ab, um die Subventionierungen in der familienergänzenden Bildung und Betreuung zu berechnen. Solche Normkostenmodelle verstossen aber vielfach gegen die in der Verfassung verankerte Wirtschaftsfreiheit der Anbietenden, wie ein vom Verband Kinderbetreuung Schweiz in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten ergeben hat. kibesuisse verlangt deshalb dezidiert von den Behörden, wenn immer möglich auf die Einführung dieser Modelle zu verzichten.

Trend zu Normkostenmodellen 

Normkostenmodelle (siehe weiter unten) verleiten dazu, die Normkosten nicht nur als Basis für die festgelegte Subventionierung, sondern auch für weitere Regulierungen zu verwenden. So werden beispielsweise Normkosten mit maximalen Elterntarifen verknüpft. Solche Auflagen und Vorgaben können die Organisationen der familienergänzenden Bildung und Betreuung in ihrer betriebswirtschaftlichen Tätigkeit empfindlich einschränken. Diese Tendenz ist auf allen politischen Ebenen zu beobachten. 

Verstoss gegen die Wirtschaftsfreiheit 

kibesuisse hat deshalb ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um der Frage nachzugehen, ob auf Normkosten basierende Subventionssysteme mit der verfassungsmässigen Wirtschaftsfreiheit vereinbar sind. Im nun vorliegenden Gutachten kommt Prof. Dr. iur. Ralph Trümpler zum Schluss, dass verschiedene dieser Normkostenmodelle «gegen den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit und gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip» verstossen. 

Die Wirtschaftsfreiheit wird als der weitreichende, in der Bundesverfassung verankerte Schutz verstanden, den jede auf Erwerb gerichtete privatwirtschaftliche Tätigkeit in der Schweiz aufgrund der marktwirtschaftlichen Ordnung geniesst. Der sich daraus ergebende Wettbewerb darf nicht durch den Staat behindert oder gelenkt werden, ausser die staatlichen Massnahmen sind verhältnismässig und verfolgen zulässige Ziele. Dazu gehören sozial- und umweltpolitische sowie polizeiliche Interessen, nicht aber wirtschaftspolitische Interessen. 

Kein echter Spielraum für Anbietende 

Im Gutachten wird diese Fragestellung unter anderem am Beispiel der Stadt Zürich untersucht. Diese legt gemäss kommunalem Recht das zulässige Grundangebot an familienergänzender Bildung und Betreuung fest, regelt die Elternbeiträge und reguliert die subventionierten Leistungen mit Vorgaben in Leistungsvereinbarungen und einem Finanzierungsmodell, das auf die Normkosten für einen standardisierten Betreuungsplatz basiert. Der privatwirtschaftliche Spielraum der Anbietenden beschränkt sich darauf, mehr Betreuungsstunden pro Tag oder mehr Betreuungstage pro Woche anzubieten, als es das subventionierte Grundangebot vorsieht. Andere darüberhinausgehende Angebote sind nicht möglich, beziehungsweise dürfen nicht an die Eltern weiter verrechnet werden. «Dass solche Auflagen automatisch zu einer Modellierung und Nivellierung des privaten Angebots führen, liegt auf der Hand», lautet die Schlussfolgerung im Gutachten. 

Pflegeheime als abschreckendes Beispiel 

Das Gutachten vergleicht dieses «Diktat des Preises und des Angebots» mit der Nivellierung der Pflegeheimfinanzierung. Die definierten Höchstgrenzen für Beiträge der öffentlichen Hand an die Pflegekosten wirkten sich in der Vergangenheit negativ sowohl auf die Pflegeheime als auch auf die Patientinnen und Patienten aus. Auch wenn ein öffentliches Interesse an der familienergänzenden Bildung und Betreuung besteht, übernehmen die privaten Anbietenden nicht eine staatliche Aufgabe. Deshalb wäre es laut Gutachten nicht durchdacht, Normkostenmodelle für die Branche zu übernehmen. Mit solchen Finanzierungssystemen würden die Behörden staatliche Wirtschaftspolitik betreiben, die das Spiel von Angebot und Nachfrage limitiert oder ausschaltet. 

Wirtschaftliches Risiko nicht beim Staat, sondern bei Anbietenden 

Anders gesagt: Der Staat darf nicht private Anbietende unverhältnismässig in ihren wirtschaftlichen Freiheiten einschränken beziehungsweise den Wettbewerb behindern oder verzerren, wie es durch zahlreiche Normkostenmodelle der Fall ist. Die daraus resultierenden Auflagen und Vorgaben lassen zudem ausser Acht, dass in der familienergänzenden Bildung und Betreuung nicht der Staat das wirtschaftliche Risiko trägt, sondern dieses voll und ganz bei den Anbietenden verbleibt. Der Ausbau der Qualitätsentwicklung, die im Sinne des Kindeswohls für die Branche unverzichtbar ist, bleibt so auf der Strecke oder wird zumindest erschwert. 

Darüber hinaus garantiert der Staat in den meisten Fällen weder die Finanzierung einer bestimmten Anzahl Betreuungsplätze noch übernimmt er eine Defizitgarantie. Zusammenfassend hält das Gutachten im Hinblick auf Normkostenmodelle fest: «Kantonale oder kommunale Subventionssysteme, die auf struktur- beziehungsweise wirtschaftspolitischen Motiven beruhen und zu Beeinträchtigungen oder gar zur Ausschaltung des Wettbewerbs führen, sind mithin mit der Wirtschaftsverfassung grundsätzlich nicht vereinbar.» 

Auf Normkostenmodelle verzichten 

Gestützt auf die Ergebnisse des Gutachtens fordert kibesuisse die Kantone und Gemeinden ausdrücklich dazu auf, dem Trend Paroli zu bieten und von der Einführung von Normkostenmodellen abzusehen. Es darf nicht sein, dass der Staat aus wirtschaftspolitischen Motiven an der wirtschaftlichen Entfaltung hindert. Stattdessen sollen die Behörden die Subventionierungssysteme so ausgestalten, dass die Wirtschaftsfreiheit der Anbietenden aufrechterhalten bleibt. So haben sie beispielsweise auch mehr Spielraum, um in die Qualitätsentwicklung zu investieren. 

Überall dort, wo Normkostenmodelle bereits gelten beziehungsweise die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen überarbeitet werden sollen, sollen aus Sicht von kibesuisse folgende Bedingungen erfüllt oder integriert werden: 

  • Sie müssen so ausgestaltet werden, dass sämtliche für den Aufwand relevanten Parameter einfliessen: Personalkosten, Miete, Administration etc. 
  • Sie müssen dynamisch konzipiert sein, sprich, Preisentwicklungen wie beispielsweise einen Teuerungsausgleich zulassen. 
  • Sie müssen für die Berechnung die Qualitätsentwicklung berücksichtigen, diese darf nicht mit den Tarifen auf die Eltern abgewälzt werden. 
  • Sie müssen regelmässig unter Anhörung und Einbezug der Organisationen der familienergänzenden Bildung und Betreuung überprüft werden. 
  • Sie müssen einzig und allein als Berechnungsmodelle für die Subventionierung der Elterntarife dienen. Dagegen dürfen sie wie im Gutachten dargelegt keinesfalls mit anderen gesetzlichen oder vertraglichen Bedingungen wie festgelegten Maximaltarifen verknüpft sein.

 

Zur Medienmitteilung 

Zum Rechtsgutachten

Was sind Normkosten?

Die familienergänzende Bildung und Betreuung wird in der Schweiz zum grössten Teil durch die Eltern finanziert. In einigen Gemeinden und Kantonen profitieren sie von gesetzlich festgelegten Subventionsbeiträgen, die aber immer häufiger mit dem Modell der sogenannten Normkosten verbunden sind. Das sind die Kosten für einen Betreuungsplatz oder eine Betreuungsstunde, die basierend auf die Kosten für das Personal, die Verwaltung, die Infrastruktur etc. durchschnittlich berechnet werden, das heisst, über alle Organisationen der familienergänzenden Bildung und Betreuung hinweg. Die Normkosten entsprechen dabei nicht den effektiven Vollkosten, die in der einzelnen Organisation für einen Betreuungstag oder eine Betreuungsstunde tatsächlich anfallen.